Stadtentwicklungspolitik Berlin (2006)

Stadtmitte statt Altstadt
Die Debatte um Berlins historisches Zentrum geht weiter: Thomas Flierl antwortet auf Klaus Hartungs Plädoyer für die Renaissance der Bürgerstadt Von Thomas Flierl

Der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann und die Freunde des Historischen Berlins haben eine neue Offensive gestartet. Nach dem Abriss des Palastes der Republik und der Entscheidung für Franco Stellas Entwurf für das Humboldt-Forum wird nun die «große Leere» zwischen Spreeinsel und Fernsehturm in den Blick genommen (Tsp. vom 28. 5.). Die Ideen der Stimmann- Fraktion sind in dessen Buch «Berliner Altstadt. Von der DDR-Staatsmitte zur Stadtmitte» versammelt.
Waren die 1996 vorgestellten Modelle bei der Beschlussfassung für das Planwerk Innenstadt 1999 vom CDU/SPD-Senat auch verworfen worden, werden sie nun auf absurde Weise radikalisiert. Beim Planwerk waren noch Momente eines «dialogischen Städtebaus» zwischen Vorhandenem und Verlorenem erkennbar, der Entwurf von 2009 ist zur unkritischen Rekonstruktion einer vermeintlich historischen Vorkriegssituation mutiert. Das Bestehende wird dort lediglich als Realisation der «DDR-Hauptstadtplanung» erkannt, ideologisch denunziert und aufgegeben. Kürzlich beschloss das Abgeordnetenhaus mit breiter rot-rot-grüner Mehrheit, der Senat solle «Grundsätze zur Gestaltung des grüngeprägten öffentlichen Stadtraums» zwischen Spree und Alex vorlegen – womit er sich klar gegen eine «Renaissance der Altstadt» wandte. Für Stimmann ist das der Sieg der «ewigen Ossis». Aber Berlin braucht keinen neuen Kulturkampf.
Die historische Altstadt Berlins war dadurch gekennzeichnet, dass das Rathaus nie am Marktplatz und in Sichtweite der Stadtkirche, der Marienkirche, stand. In der vom Schloss ausgehenden barocken Stadterweiterung nach Westen und Süden geriet die Altstadt in eine fast periphere Lage. Auf dem Weg Berlins zur Metropole im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde der Alex zum Platz des Ostens.

Gleichzeitig verstärkte dies die historisch bereits vorhandene Trennung der sozialkulturellen Welten östlich des Alex und westlich des Schlosses. Die «Altstadt» verlor ihre integrierende Funktion, ihre Vernachlässigung beginnt bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Monumente der aufstrebenden Kommune Berlin siedelten sich «hinter» dem Rathaus an: das Stadthaus mit der geplanten Behördenstadt (und der Zentralbibliothek!) sowie das Märkische Museum.
Heute teilt dieser Bereich die Stadt nicht mehr, sondern verbindet, wenn auch noch unzureichend. Zurecht muss man das Verschwinden der historischen Substanz durch Krieg und Nachkriegsabriss bedauern. Mit «Marx-Engels-Forum» wird das Gelände aber bewusst falsch bezeichnet. Die DDR-Stadtplanung wollte nicht vor allem Marx und Engels verewigen, sie musste notgedrungen den Alex mit der Friedrichstadt verbinden und beseitigte so zugleich ein stadträumliches Defizit.
Obgleich die DDR ein «Zentrales Gebäude» mit einer Marx-Engels-Ehrung verbinden wollte, ist es ja bemerkenswert, dass auch die DDR die Staats- und Stadtseite der Spree genau zu unterscheiden wusste. Während der Palast der Republik mit Staatsratsgebäude und Außenministerium die Staatsmitte der DDR verkörperte, war der Raum zwischen Spree und Alex der Stadt gewidmet. Das Marx-Engels-Denkmal, das auf der Plattform des ehemaligen Nationaldenkmals geplant war und die gesellschaftliche Mitte hätte abrunden sollen, wanderte nur aus Mangel an Baukapazität für eine PalastTiefgarage auf die andere Spreeseite.
Das so entstandene große städtische Zentrumsband, das durch die Raumkanten von S-Bahnhof, Liebknecht-, Rathausstraße und Humboldt-Forum klar definiert und in drei Bereiche gegliedert ist – den Park an der Spree, das Forum am Rathaus und den Bereich um Marienkirche und Fernsehturm –, dieser Stadtinnenraum bietet Berlin eine große Chance.
Auch aus ökologischen Gründen plädierte das 1999 beschlossene Planwerk Innenstadt als Ausgleich für die AlexHochhäuser und die Bebauung des Friedrichswerder für die Erhaltung dieses grüngeprägten Raums. Noch wichtiger: Er verbindet endlich Marienkirche und Rathaus und weitet den mittelalterlichen Markplatz zum großstädtischen Forum mit grandiosen Bauwerken verschiedener Epochen: Marienkirche, Rathaus, Fernsehturm und demnächst: Humboldt-Forum.
Das ist die Funktion der Mitte: Hier kann sich die Berliner Bürgergesellschaft im Bewusstsein ihrer Geschichte selbst anschauen und erleben, in Freude und Zorn.

Thomas Flierl ist Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung der
Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und war von 2002 bis 2006 Berliner
Kultursenator. (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 02.06.2009)