Der Kulturwissenschaftler Thomas Flierl im Gespräch mit Marietta Schwarz

Radiosendung vom 17. Februar 2019
Deutschlandfunk: Zwischentöne — Musik und Fragen zur Person

Information von Deutschlandfunk (Marietta Schwarz / Red.):
Thomas Flierl ist der Sohn des prominenten DDR-Architekturhistorikers Bruno Flierl. Zu Beginn des Jahrtausends war er als linker Kultursenator in der Berliner Politik. Nach seinem Ausscheiden kehrte er in die Bauforschung zurück. Seither blickt er immer wieder in den Osten – der Stadt, des Landes, des Kontinents.

Flierl wurde 1957 in Berlin geboren und studierte Philosophie. Die jüngste Publikation des Bauhistorikers führte ihn zu Recherchen nach Russland und Mexiko. Es geht darin um Hannes Meyer, den zweiten Direktor des Bauhauses, der dem Osten «zu modern, dem Westen zu kommunistisch» war. Ein Gespräch über Bauhaus-Rezeption, Stadtentwicklung – und über 30 Jahre Mauerfall. mehr / DLF

 
 

Der Kulturwissenschaftler Thomas Flierl im Gespräch [Radio-Interview] — © imago / Christian Schroth


mart stam. architekt und desginer: radikal. emphatisch, idealistisch
Symposium


25. November 2019 · 18 Uhr · Niederländische Botschaft · Klosterstraße 50, 10179 Berlin
Mit Anna Abrahams, Thomas Flierl, Jan Frederic Groot, Joris Molenaar, Werner Möller · Moderator: Lucas Verweij

Die Mart Stam Gesellschaft und die mart stam stiftung für kunst + gestaltung veranstalten in Kooperation mit der weißensee kunsthochschule berlin und der Botschaft des Königsreichs der Niederlande einen dreiteiligen Vortragszyklus zu Mart Stam:
2019: Die frühen Jahre von Mart Stam
2020: Mart Stam in der DDR
2021: Mart Stam heute.

Mart Stam 1930-1934 in der Sowjetunion: Projekte, Institutionen, Konflikt
Vortrag: Thomas Flierl

Der Vortrag von Thomas Flierl am 25. November 2019 zieht einen Bogen von Mart Stams Beteiligung am Neuen Frankfurt zu seiner Mitwirkung an den großen Planungsprojekten in der Sowjetunion: Magnitogorsk im Südural und die neuen Städte im Donbass Makeevka und Gorlovka. Neue Quelle belegen seine Analyse der Gründe des Scheiterns der westlichen Architekten in der Sowjetunion.

Mart Stam 1930-1934 in der Sowjetunion: Projekte, Institutionen, Konflikte


100 Jahre Freidorf. Symposium «Das Freidorf, Hannes Meyer und das Siedeln»

26. September 2019, 13 Uhr · FHNW Institut Architektur, Campus Muttenz · Hofackerstrasse 30, 4132 Muttenz
Mit Harald R. Stühlinger, Gregory Grämiger, Thomas Flierl, Stéphanie Savio, Matthias Castorph

Das Freidorf Muttenz und sein ‹Jurrassischer Canon› 
im architektonischem Denken von Hannes Meyer

Zeit seines Lebens hat Hannes Meyer über «regionalen Ausdruck in den Proportionen architektonischer Art» nachgedacht. Anfang der 1950er Jahre – in der Falle zwischen westlichem «International Style» und östlichem «sozialistischem Realismus» in der Architektur – begann sich Hannes Meyers seines Freidorf-Projektes, seines früheren Herangehens bei der Bewältigung des Widerspruchs von Tradition und Moderne zu erinnern: «In jenen Jahren hat mich das Problem der regionalen Proportions-Eigenheiten in der Architektur sehr beschäftigt, und im konkreten Fall ‹Das Jurassische›, das dem burgundischen Canon sehr nahe steht in der Architektur, wie auch in anderen Dingen.» Dabei ging es nicht darum, in erster Linie «die jurassischen Baudetails» zu verwenden, sondern «die längs der französischen Grenze üblichen Verhältnisse zwischen Mauer-Wand und Fenster-Öffnungen einigermassen einzuhalten». (Brief an Heinrich Starck vom 14. März 1952, DAM)
Der Vortrag verfolgt das Motiv der Landschaft und des Regionalen im architektonischen Denken von Hannes Meyer.

Programm:
13:00 Uhr: Harald R. Stühlinger: Begrüssung
13:15 Uhr: Gregory Grämiger: Das Freidorf im Kontext der Basler Siedlungsreformbewegung
14:00 Uhr: Thomas Flierl: Das Freidorf und sein ‚Jurassischer Canon‘ im architektonischen Denken von Hannes Meyer
14:45 Uhr: Stéphanie Savio: Über Ideal und Wirtschaftlichkeit: Siedlungsgenossenschaften von Hannes Meyer und Arieh Sharon
15:30 Uhr: Matthias Castorph: ‚Zwischen den Zeilen‘ – Gartenstadt oder Gartenvorort?
16:15 Uhr: Podiumsgespräch mit Matthias Castorph, Thomas Flierl, Gregory Grämiger, Stéphanie Savio, Harald R. Stühlinger
16:45 Uhr: Veranstaltungsende

100 Jahre Freidorf. Symposium «Das Freidorf, Hannes Meyer und das Siedeln»


Das Ensemble ist das Interessante!

Gespräch mit Thomas Flierl über die Geschichte und Perspektive des Thälmann-Denkmals in Berlin-Prenzlauer Berg

[ PDF ]
kunststadt stadtkunst 66, Informationsdienst des Kulturwerks des BBK Berlin 2019 · S. 22-25.

Ende November 2018 debattierte die Veranstaltung des Bezirksamtes Pankow «Vom Denkmal zum Denkort» einen möglichen künstlerischen Umgang des 1986 errichteten Ernst-Thälmann-Denkmals. 25 Jahre nach der ersten Diskussionsveranstaltung 1993 am gleichen Ort tritt die Diskussion in eine neue Phase – angestoßen durch die kürzliche Aufnahme des Wohngebietes am Ernst-Thälmann-Park in die Landesdenkmalliste (das Denkmal war bereits früher aufgenommen worden).

Thomas Flierl leitete von 1990 bis 1996 das Kulturamt Prenzlauer Berg. Bereits seit Mitte der 1980er Jahre hatte er die Entwicklung dieses Stadtareals kritisch begleitet. Im Vorfeld des nun ausgeschriebenen Wettbewerbs für eine kritische künstlerische Kommentierung führte kunststadt stadtkunst das folgende Gespräch mit Thomas Flierl.

Das Ensemble ist das Interessante!


Stadtentwicklungspolitik Berlin (2006)

Stadtmitte statt Altstadt
Die Debatte um Berlins historisches Zentrum geht weiter: Thomas Flierl antwortet auf Klaus Hartungs Plädoyer für die Renaissance der Bürgerstadt Von Thomas Flierl

Der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann und die Freunde des Historischen Berlins haben eine neue Offensive gestartet. Nach dem Abriss des Palastes der Republik und der Entscheidung für Franco Stellas Entwurf für das Humboldt-Forum wird nun die «große Leere» zwischen Spreeinsel und Fernsehturm in den Blick genommen (Tsp. vom 28. 5.). Die Ideen der Stimmann- Fraktion sind in dessen Buch «Berliner Altstadt. Von der DDR-Staatsmitte zur Stadtmitte» versammelt.
Waren die 1996 vorgestellten Modelle bei der Beschlussfassung für das Planwerk Innenstadt 1999 vom CDU/SPD-Senat auch verworfen worden, werden sie nun auf absurde Weise radikalisiert. Beim Planwerk waren noch Momente eines «dialogischen Städtebaus» zwischen Vorhandenem und Verlorenem erkennbar, der Entwurf von 2009 ist zur unkritischen Rekonstruktion einer vermeintlich historischen Vorkriegssituation mutiert. Das Bestehende wird dort lediglich als Realisation der «DDR-Hauptstadtplanung» erkannt, ideologisch denunziert und aufgegeben. Kürzlich beschloss das Abgeordnetenhaus mit breiter rot-rot-grüner Mehrheit, der Senat solle «Grundsätze zur Gestaltung des grüngeprägten öffentlichen Stadtraums» zwischen Spree und Alex vorlegen – womit er sich klar gegen eine «Renaissance der Altstadt» wandte. Für Stimmann ist das der Sieg der «ewigen Ossis». Aber Berlin braucht keinen neuen Kulturkampf.
Die historische Altstadt Berlins war dadurch gekennzeichnet, dass das Rathaus nie am Marktplatz und in Sichtweite der Stadtkirche, der Marienkirche, stand. In der vom Schloss ausgehenden barocken Stadterweiterung nach Westen und Süden geriet die Altstadt in eine fast periphere Lage. Auf dem Weg Berlins zur Metropole im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde der Alex zum Platz des Ostens.

Gleichzeitig verstärkte dies die historisch bereits vorhandene Trennung der sozialkulturellen Welten östlich des Alex und westlich des Schlosses. Die «Altstadt» verlor ihre integrierende Funktion, ihre Vernachlässigung beginnt bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Monumente der aufstrebenden Kommune Berlin siedelten sich «hinter» dem Rathaus an: das Stadthaus mit der geplanten Behördenstadt (und der Zentralbibliothek!) sowie das Märkische Museum.
Heute teilt dieser Bereich die Stadt nicht mehr, sondern verbindet, wenn auch noch unzureichend. Zurecht muss man das Verschwinden der historischen Substanz durch Krieg und Nachkriegsabriss bedauern. Mit «Marx-Engels-Forum» wird das Gelände aber bewusst falsch bezeichnet. Die DDR-Stadtplanung wollte nicht vor allem Marx und Engels verewigen, sie musste notgedrungen den Alex mit der Friedrichstadt verbinden und beseitigte so zugleich ein stadträumliches Defizit.
Obgleich die DDR ein «Zentrales Gebäude» mit einer Marx-Engels-Ehrung verbinden wollte, ist es ja bemerkenswert, dass auch die DDR die Staats- und Stadtseite der Spree genau zu unterscheiden wusste. Während der Palast der Republik mit Staatsratsgebäude und Außenministerium die Staatsmitte der DDR verkörperte, war der Raum zwischen Spree und Alex der Stadt gewidmet. Das Marx-Engels-Denkmal, das auf der Plattform des ehemaligen Nationaldenkmals geplant war und die gesellschaftliche Mitte hätte abrunden sollen, wanderte nur aus Mangel an Baukapazität für eine PalastTiefgarage auf die andere Spreeseite.
Das so entstandene große städtische Zentrumsband, das durch die Raumkanten von S-Bahnhof, Liebknecht-, Rathausstraße und Humboldt-Forum klar definiert und in drei Bereiche gegliedert ist – den Park an der Spree, das Forum am Rathaus und den Bereich um Marienkirche und Fernsehturm –, dieser Stadtinnenraum bietet Berlin eine große Chance.
Auch aus ökologischen Gründen plädierte das 1999 beschlossene Planwerk Innenstadt als Ausgleich für die AlexHochhäuser und die Bebauung des Friedrichswerder für die Erhaltung dieses grüngeprägten Raums. Noch wichtiger: Er verbindet endlich Marienkirche und Rathaus und weitet den mittelalterlichen Markplatz zum großstädtischen Forum mit grandiosen Bauwerken verschiedener Epochen: Marienkirche, Rathaus, Fernsehturm und demnächst: Humboldt-Forum.
Das ist die Funktion der Mitte: Hier kann sich die Berliner Bürgergesellschaft im Bewusstsein ihrer Geschichte selbst anschauen und erleben, in Freude und Zorn.

Thomas Flierl ist Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung der
Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und war von 2002 bis 2006 Berliner
Kultursenator. (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 02.06.2009)